medien21-Appel: Datenschutz, Qualitätsjournalismus und Staatsferne als zentrale Ordnungselemente der neuen Medienordnung: 

"Die Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, der Ministerpräsident des Landes Sachsen, Stanislaw Tillich, und der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Olaf Scholz, haben heute in Potsdam stellvertretend für die Länder ein Gutachten zur konvergenten Medienordnung entgegengenommen." - berichtete die Staatskanzlei Rheinland-Pfalz am 17.10.2014.[1]

Ich bin dabei, mir das 122 Seiten umfassende Konvergenzgutachten zu Gemüte zu führen, bin inzwischen auf der Seite 80 angelangt. Aber das bis jetzt im und rundum das Konvergenzgutachten Gelesene mutet mir nichts Gutes an. Ich empfinde es als besorgniserregend und gar alarmierend, dass im öffentlichen Bewusstsein das Thema "neue Medienordnung" gar nicht angekommen ist und die Zivilgesellschaft bis dato scheinbar nicht realisiert hat, mit welcher Tragweite und mit welcher Wucht die neue Medienordnung die Entwicklung von Meinungsbildungsprozessen in Deutschland und in der EU [3] in der nahen Zukunft beeinflussen wird.

Die Gutachter warnen, dass, wenn es um das Thema Meinungsvielfalt geht, "einmal eingetretene Fehlentwicklungen – wenn überhaupt - nur bedingt und nur unter erheblichen Schwierigkeiten rückgängig gemacht werden könnten" - Gutachten „Konvergenz und regulatorische Folgen“, Seite 54. Die Äußerungen von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz [6] wie "Der geplante Medienstaatsvertrag von Bund und Ländern werde zu 'keiner großen Institutionenreform' führen" lassen dagegen einen Eindruck entstehen, dass die Politik die Bedeutung und die Tragweite des zukünftigen Medienstaatsvertrages in der öffentlichen Wahrnehmung gern herunterspielen würde. Ähnlich beschwichtigend kommt bei mir die Botschaft der Staatssekretärin für Medien und Digitales in Rheinland-Pfalz an, die zum Medienpolitischen Colloquium des Instituts für Medienpolitik in Berlin das Publikum aufgeklärt hat, "die bisherigen Kompetenzen des Bundes für Telekommunikations- und Wettbewerbsrecht und der Länder mit ihren rundfunkrechtlichen Zuständigkeiten sollten nicht 'angegriffen' werden", so Heiko Hilker vom Dresdner Institut für Medien, Bildung und Beratung [6].

  1. Das Konvergenzgutachten ist ein politisches Dokument durch und durch:
    1. zu einem, weil die Umsetzung von Handlungsoptionen des Gutachtens schwerwiegende Konsequenzen für die Entwicklung der Demokratie in Deutschland haben wird.
    2. zum anderen, weil die im Gutachten verwendete Sprache, ob gewollt oder ungewollt, immer wieder sehr brisante Sachverhalte mit harmlosen, nichtssagenden Worthülsen vernebelt und maskiert, wie dies in der Politik heutzutage wie selbstverständlich praktiziert wird, um heikle, unangenehme Wahrheiten zu kaschieren. Die Sachverhalte, die aus meiner Sicht gravierende Mängel darstellen und/oder besondere Aufmerksamkeit verdient haben und u.U. nach einem dingendem Handlungsbedarf seitens der Zivilgesellschaft schreien, habe ich in meinem Konvergenzgutachten-Blog Datenschutz, Qualitätsjournalismus und Staatsferne als zentrale Ordnungselemente der neuen Medienordnung [4] und in der medien21-Übersicht "von A bis Z" mit rot hervorgehoben. Ein Beispiel für die Vernebelungssprache liefert bereits der Titel Konvergenz und regulatorische Folgen. So einen Titel könnte man sich auch für irgendein Gutachten aus der Chemie, Biologie, Klima- oder Tierforschung vorstellen - und der Titel würde passen. Hier sind aber die Wissenschaftler damit beauftragt, ein Gutachten zu erstellen, das eine geeignete Grundlage darstellen könnte, um den "Erhalt von Vielfalt und kommunikativer Chancengleichheit in einer konvergierenden Marktsituation" http://www.hamburg.de zu erzielen! Im Klartext geht es hier um den Erhalt von "Medien- und Kommunikationsfreiheit" - Gutachten „Konvergenz und regulatorische Folgen“, Seite 64. Für ein Gutachten, dessen Handlungsoptionen mit an Sicherheit grunzender Wahrscheinlichkeit als Vorlagen für die Gesetzesvorhaben und Staatsverträge von derart gesamtgesellschaftlicher Relevanz verwendet werden, haben m.E. einen aussagekräftigeren Titel verdient.

Deutschland steuert auf eine hässliche und ungemütliche Zukunft zu, wenn in der neuen Medienordnung die Interessen der Zivilgesellschaft nicht berücksichtigt werden. Das Symposium "Moderne Regulierung schaffen, Medienzukunft gestalten" am 19.03.2015 bietet den Akteuren der Zivilgesellschaft eine Gelegenheit dazu, diese Interessen publik zu machen. So ein Symposium ist nicht jeder Frau und nicht jedem Mann zuzumuten. Bei weitem nicht jede(r) kann bei der persönlichen Zeitplanung einen ganzen Tag für dieses Symposium freischaufeln.

Aber wenn die Zivilgesellschaft auf das Gutachten http://www.hans-bredow-institut.de/webfm_send/1049 nicht reagiert und wenn die Zivilgesellschaft es zulässt, dass die Empfehlungen/Handlungsoptionen des Gutachtens umgesetzt werden, dann sehe ich schwarz. Ich appelliere an alle LeserInnen dieses Textes:

  • Checken Sie Ihren Terminkalender, ob Sie evtl. doch ein Zeitfenster für das Medienregulierung-Symposium in Berlin finden.
  • Und unabhängig von der Teilnahme am Symposium trauen Sie meiner Schwarzmalerei nicht, sondern bilden Sie sich Ihre eigene Meinung. Das Gutachten, das höchstwahrscheinlich bei der Gestaltung der neuen Medienordnung eine entscheidende Rolle spielen wird - s. dazu auch [6] - ist frei verfügbar. Sie können auch mit einer "leichten Kost" anfangen. Die Vertreter der Medienkonzerne, von deren Interessen die im Konvergenzgutachten aufgelisteten Handlungsoptionen mehr als deutlich geprägt sind, frohlocken der neuen Medienordnung entgegen. In den ebenfalls online verfügbaren Äußerungen der einschlägigen Akteure - s. "leichte Kost" [5] - sind Wünsche, Thesen enthalten, für die im Gutachten entsprechende Handlungsoptionen für die Regierungen und den Gesetzgeber enthalten sind, die diesem Wunschkonzert mit einen Intermediäre-freundlichen Rechtsrahmen versorgen würden. Die Bedeutung der relevanten Begriffe für das Thema "neue Medienordnung" kann man unter von A bis Z [7] nachschlagen.
  • Tragen Sie das Thema "neue Medienordnung" an die Öffentlichkeit, bloggen, schreiben Sie darüber.
  • Sprechen Sie die Abgeordneten aus Landes- und Bundesparlamenten, die Datenschutzbeauftragten in den Bundesländern auf das Thema "neue Medienordnung" an.

Damit solche für das Überleben der Zivilgesellschaft wichtige Themen wie Datenschutz, Qualitätsjournalismus und Staatsferne in der neuen Medienordnung für Deutschland und EU gebührend verankert sind.


Dieser Artikel wurde lektoriert von R. von Barghorn